Entfaltung der Stimme – Singen mit Leib und Seele

Anregendes für Augen, Ohren und Stimme


Klangbilder - Hörbilder - Körperbilder

Bilder als Sinnbilder von Klang-Gestalten

Bilder, die wir über die Augen wahrnehmen, werden im Gehirn ebenso wenig als "Fotos" abgebildet, wie Klänge im Gehirn nicht als "Audio-Datei" wiedergegeben werden. Im Gehirn wird durch ein Zusammenspiel verschiedener Wahrnehmungsebenen quasi ein "Klang-Bild" zusammengesetzt. Im Prozess des Hörens wird, auch wenn ich nur einfach einen Ton singe, im Gehirn eine Klang-Gestalt kreiert, die sich nicht nur aus den Parametern Tonhöhe, Klangfarbe, Dauer und Lautstärke zusammensetzt, sondern auch räumliche und zeitliche Dimensionen umfasst - unter anderem Ausdehnung, Fokussierung, Tiefenwirkung, Schichtung, Vertikalität, Kugelformen, sowie Modulationen, Rhythmus, Strömungen, Bewegungsdynamik, Gegenbewegungen usw. (Die Spirale, die in mehreren Klangbildern auftaucht, ist ein gutes Symbol für die Durchdringung von räumlichen und zeitlichen Dimensionen.)


Hören ist also ein kreativer Prozess. Um diese subjektive "Wahr-Nehmung" in Worte zu fassen und so die Selbstwahrnehmung beim Singen zu entwickeln, kann es nützlich und anregend sein, sich auf bildliche Darstellungen zu beziehen. Mandalas können wegen ihrer kreisförmigen und zentrierten Struktur besonders hilfreich sein, um sich in einem komplexen und vielfältigen Klanggeschehen zurecht zu finden und zu orientieren. Das kann zu unterschiedlichen Wahrnehmungen des Klanges der eigenen Stimme führen, die weit hinaus gehen über ein beurteilendes "schön", "richtig", "angenehm", oder auch "voll", "frei", "kraftvoll", oder wie auch sonst noch solche Bewertungen lauten, die sich nach einem außendefinierten ästhetischen Klangideal richten - ganz zu schweigen von all den negativen Bewertungen, die wir (meist unbewusst und tief eingeprägt) in unseren Ohren mit uns herumschleppen.


Bilder als Stimulation beim Singen

So wie sich beim Hören wahrnehmungspsychologisch im Gehirn und in der körperlichen Empfindung gestaltbildende Vorgänge abspielen, wirken auch beim Singen, das im wesentlichen über das Ohr ausgesteuert und geleitet wird, ähnliche gestaltbildende Kräfte. Das Interessante ist, dass die Klangbilder, wenn ich sie beim Singen mit weichem Blick anschaue, ohne dies oder das unterscheiden zu wollen, auch unabhängig von dem, was ich ästhetisch oder klanglich "gestalten" will, eine Wirkung entfalten.

  • - Ich kann zum Beispiel im Klang eine Verdichtung, Konzentration oder Zentrierung wahrnehmen, als gäbe es im Klang eine Mitte oder einen Fokus, ohne dass der Klang eng oder forciert wirkt. Ich kann - manchmal gleichzeitig - eine Ausdehnung des Klangs in eine räumliche Weite und Tiefe erleben, ohne dass der Klang sich diffus auflöst oder seine Konturen verliert.
  • - Ich kann mit den Ohren "sehen", wie Pänomene von Lichterscheinungen im Klang auftauchen, wie ein Leuchten im Zentrum bei dunklem Hinter- oder Untergrund, Helles und Dunkles gleichzeitig ("chiaro-scuro" heißt das im sängerischen Fachausdruck), Hell-Dunkel-Schattierungen, Transparenz, Schimmer, Schillern, Gleißen.
  • - Es kann mir vorkommen, als würde das im Malen fixierte Bild im Klanggeschehen in Bewegung geraten: es rundet sich was; Strudel entstehen; Kreise beginnen zu kreisen; Spiralen bewegen sich zentrifugal oder zentripetal durch verschiedene Ebenen hindurch; das zweidimensionale Bild richtet sich in meinem Körperbild auf in die Vertikale.

Lichtmandala von Heita Copony

Ein bildmächtiges Mandala, das erstaunlich stimmig eine mögliche Klanggestalt abbildet und in der Stimulation eine starke Wirkung hat:


Lichtmandala Heita Copony
  • - ein leuchtendes Zentrum, von dem Strahlen ausgehen
  • - eine Spirale, die ins Zentrum führen kann oder sich aus ihm herausbewegen kann
  • - um die Spirale eine strukturierte Form (Blütenblätter=Vokale?)
  • - aus der "Form" der Blütenblätter zentrifugale Bewegungen, als könnte sich der leuchtende Kreis der äußeren Form weiter ausdehnen
  • - ein Schimmer als äußere Hülle

(Dieses Mandala habe ich schon 1987 erworben und seitdem steht es oft in meinem Unterrichtsraum auf dem Notenständer.)


Mandala aus Bhutan

Mandala aus Bhutan
  • Sehr anregend durch die Farbigkeit, reichhaltiges Innenleben des Klangs zwischen den konzentrischen Kreisen im Zentrum und der rot aufgeladenen äußeren Umrundung

Spiral-Mandala

Spiral Mandala
  • Durch die Schwarz-Weiß-Muster und die Spiralen entsteht im Auge des Betrachters eine Tiefenwirkung wie bei einem 3D-Bild.

Wasser-Klang-Bilder

Wasserklang 102,528 Hz Bild 2 von 3 Bild 3 von 3

Die innere Kathedrale

Innere Kathedrale
  • Der innere Klang- und Resonanzraum im Spiegel einer Kathedrale.
  • Ich schaue durch meine Mundöffnung als würde ich wie im Bild am Eingang der Kathedrale stehen und sehe mit meinen Ohren oder höre mit meinen Augen, wo der Klang in meiner "inneren Kathedrale" (Kehle, Rachen, Nasenrachen, Mundraum) entsteht, wie er sich im Raunm verteilt, wo er sich verdichtet und weitet und wie er im Raum reflektiert wird.

Spiralen

Diabolo Spirale

eine zugleich zentrierende wie ausdehnende Spirale - Ausdehnung und Öffnung in die Vertikale nach unten und zugleich nach oben - Sog oder Strudel von unten oder von oben ins Zentrum oder durch die Zentrierung hindurch in die Weite oder Öffnung - Stimmritze in der Engstelle im Zentrum des Strudels.

Spirale Logo

Innere Spirale zentrierend - äüßere Spirale ausdehnend: Beide Spiralen können jeweils sowohl in einer Aufwärts-, als auch in einer Abwärtsbewegung gesehen werden und gleichzeitig in Gegenbewegung

Spirale Aussen von oben

Spirale Aussen von unten

Über die Außenbewegung kann es eine Sogwirkung geben in den inneren Strudel von unten nach oben oder von oben nach unten

Spirale zylindrisch

eine schlanke Spirale im Zentrum in der Vertikale wie eine Röhre (Luftröhre, Rachen) oder wie ein Kanal mit Sogwirkung nach innen-unten oder nach oben in die Aufrichtung

Die äussere Spirale kann durch ihre Ausdehnung die Sogwirkung in der Röhre verstärken.

Kreis-Kreuz

Offenes Kreuz im Kreis

viele anregende Formen und Figuren in einem Bild (auch dreidimensional vorstellbar)

der Kreis oder die Kugel mit Punkt im Zentrum, zwei sich kreuzende offene "Kanäle" oder Röhren in der Horizontale und in der Vertikale, mitten in den Röhren ein Kreuz von Linien, um den Kreuzungspunkt ist Leere


Klangpoesie - Lautmalerei

Klingende Sprache - sprechender Klang

Hörst Du wie die Brunnen rauschen (C.Brentano)

Lautmalerei - singendes Sprechen - mit den Ohren lesen

Wiegenlied (C.Brentano)

Hörbeispiele

Die verschiedenen Versionen in den Hörbeispielen sind als experimentelle Versuche gemeint, die Sprache zum Klingen zu bringen in einem sprechenden Klang oder einem singenden Sprechen.

Hörst Du, wie die Brunnen rauschen

Version 1      Version 2

Wiegenlied

Version 1      Version 2


Musik und Klang

Über Musik und Klang, Stille und Gesang -
über Sprechen, Schweigen, Sehen, Hören, Empfinden und Singen


Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann
und worüber zu schweigen unmöglich ist.

Victor Hugo


Girlande

"Frei nach Mozart:
Wovon ich nicht sprechen kann,
davon muss ich singen"

Alexander Kluge

(Frei nach der Sentenz von Ludwig Wittgenstein:
"Wovon man nicht reden kann, darüber sollte man schweigen.")


Girlande

Stille, die die ganze Welt in sich hat
und an die Ohren weht,
so, als wäre ihre andere Seite
der Gesang, dem keiner widersteht.

Rilke


Girlande

"Sehen heißt,
die Namen der Dinge zu vergessen, die man sieht."

Robert Irvin - Maler

Übersetzt:
Hören heißt,
die Namen der Laute zu vergessen, die man hört.
Oder:
Singen heißt,
die Namen der Klänge zu vergessen, die man singt.


Girlande

Sergiu Celibidache:

"Nichts steht der spontanen Haltung des reinen Bewußtseins mehr im Wege
als Gewohnheit, Symbolik, Erinnerung."
"Und es ist noch etwas anderes, was undefinierbar bleibt.
Sie können auch nicht anders, als es geschehen lassen.
Sie lassen es entstehen. Man tut selber nichts,
sieht aber zu, dass nichts dazwischen kommt,
was diese wunderbare Entstehung irgendwie (ver)hindern könnte.
Man ist unglaublich aktiv und in der gleichen Zeit unglaublich passiv.
Man will nichts, man lässt es entstehen."


Girlande

Christoph Marthaler über eine seiner Inszenierungen:
"Es ist ein Abend über eine Faszination:
Über Zustände und in Klang verwandelte Empfindungen,
die diffus und unbegreiflich sind und genau deshalb auf seltsame Weise exakt."


Girlande

Sie öffnete kaum den Mund, verwehrte den Blick auf die innere Glut.
Sobald sie den Ton ansang, löste er sich auf unerklärliche Weise von ihr,
wurde mächtig, füllte den Raum bis in den letzten Winkel,
wurde selbst zum Raum, zur heiligen Zone zwischen ihr und der Welt.

(aus der Ankündigung einer Sendung über Maria Callas in BR-Klassik)


Girlande

Hans-Christoph Rademann (Chorleiter)über den Klang des Rias-Kammerchores:
"Er erfüllt das Ideal einer zugleich körperlichen wie auch fokussierten Klangs, ein Klang wie von
einer Silbermann-Orgel: leuchtende Rundung, dunkel und hell zugleich, wie Gold, das dunkel ist
und hell glänzt."


Girlande

Der Geigenbauer Martin Schleske über den Klang einer seiner Geigen:
"Hier, die G-Saite, ein satter Ton, in den man sich so reinfallen lassen kann. Wie ein Händedruck,
bei dem man Druck zurückbekommt. Das suche ich, dieses samtige, stimmhafte 'S' im Kern des
Tones, und aussenrum ist eine Fülle."


Girlande


© Johannes Quistorp